Falsche Betonungen

Aus der Rubrik „Reime direkt aus der Hölle“:

Es war mal ein Doktor aus Hamburg,
der war ein gefeierter Chirurg.

Wenn ich solche Zeilen lese, durchfährt mich immer ein stechender Schmerz im lyrischen Zentrum! Vor allem Online-Reimlexika spucken so etwas gerne aus und suggerieren unbedarften Nutzern, dass es sich um einen Reim handelt.

Ein Reim wird wie schon gesagt ab der letzten Betonung eines Wortes (bzw. einer Zeile) definiert. Die erste Limerickzeile hat immer drei Betonungen:

Es war mal ein Doktor aus Hamburg

Gesucht wird also ein Reimwort, das auf „amburg“ endet. Das „H“ fällt unter den Tisch, denn die Konsonanten am Anfang der betonten Silbe werden bei einem Reim ausgetauscht oder weggelassen, sonst wäre es ein „identischer Reim“. Edward Lear hatte wie gesagt im 19. Jhdt. genau so etwas in seinen Limericks gemacht, aber ganz unter uns: ein identischer Reim ist noch langweiliger als ein unsauberer.

Der Chirurg braucht ein Reimwort, das auf „-urg“ endet.

Richtig wäre:
Es war mal ein alter Chirurg,
der kaufte sich jüngst eine Burg.

Die Burg ohne „Ham-“ davor reimt sich perfekt auf „Chirurg“, in „Hamburg“ jedoch ist die Burg unbetont, die Betonung liegt auf „Ham-“. Die Folge ist, dass wir auf zwei Silben reimen müssen, was Hamburg gegenüber Berlin, Hamm und Mainz einen klaren Nachteil verschafft, denn es gibt im Deutschen keinen einzigen Reim auf Hamburg, solange es keine Lammburg, Schwammburg, Schlammburg, Programmburg oder Slum-Burg gibt.

Reime mit der Betonung auf der vorletzten Silbe (laufen – raufen – verkaufen – besaufen) werden übrigens auch „weiblich“ genannt, während Reime mit Betonung auf der letzten Silbe (Krieg – Musik – Antik – flieg!) als „männlich“ bezeichnete werden. Welcher tiefere Sinn hinter dieser Benennung steht, war mir nie ganz klar, vielleicht hat das mit der Anzahl der X-Chromosomen zu tun. 😉

Wenn du längere oder zusammengesetzte Wörter am Zeilenende hast, musst du beim Reimen immer nach der letzten betonten Silbe schauen:

Steuererklärung hat die Hauptbetonung auf „Steu-“ und eine weitere Betonung auf „klä-“, dein Reim sollte also auf „ärung“ enden, wenn du findest, dass es zu wenig Gedichte über Steuererklärungen gibt. Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänsmütze hat die letzte Betonung auf der vorletzten Silbe und reimt sich prima auf „Pfütze“, „Schütze“ und „Grütze“. Puuh, noch mal davongekommen!

Man kann noch sehr viel mehr über Reime schreiben, aber zu viel Theorie vernebelt das Dichterhirn, deshalb belasse ich es vorerst hierbei und wünsche fröhliches Reimen! Wenn du noch mehr zur Theorie über Reime wissen möchtest, empfehle ich dir den Wikipedia-Artikel über Reime.

Eine letzte Frage möchte ich noch klären, bevor es an die Praxis geht:

Wovon handelt ein Limerick? »

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1 Kommentar zu „Falsche Betonungen“

  1. Hier kommt ein Limerick mit gewollter, falscher Betonung auf der zweiten Silbe: Flo – ri – da. Diese Betonung war aber bei einem Vortrag die Pointe.

    Ganz fürchterlich schimpft Tante Frieda:
    „Ja so etwas hatt‘ ich noch nie da!“
    Ein Sturm kam mit Krach
    und weg war ihr Dach.
    „Wir sind hier doch nicht in Florida!“

    So etwas sollte allerdings möglichst selten vorkommen.

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