Praxisteil 1 – Der erste Limerick

Im Folgenden schreiben wir zusammen einen Limerick. Nun ja, da so ein Text wenig Möglichkeiten der Interaktion bietet, schreibe ich einen Limerick und lasse dich dabei an meinen Gedanken teilhaben. Nicht jeder erste Entwurf muss ein Knaller sein, aber oft lohnt es sich, daran herumzufeilen und dem Limerick die Chance zu geben, vom Mittelmaß in den Reigen der „Zwerchfellkiller“ aufgenommen zu werden. Es ist eine empfehlenswerte Vorgehensweise, zunächst drauflos zu schreiben, ohne sich den Druck zu machen, den Limerick des Jahres abzuliefern. Regelmäßiges Schreiben und die gesammelten Erfahrungen werden dir helfen, deine Limerick-Versuche zur Vollendung zu führen. Also, einfach loslegen, die guten Ideen kommen irgendwann ganz von selbst!

Für den Praxisteil setze ich die im Theorieteil vermittelten Kenntnisse über Reimschema, Metrum, Zeilenlängen und Reime voraus.

Der Einstieg

Der klassische Limerick beginnt meist mit einer Person aus einem Ort. Bei Edward Lear ist das häufig ein „old man“, eine „young lady“, eine „old person“ usw. Inzwischen gibt es aber auch viele Limericks, die die Person schon in der ersten Zeile näher charakterisieren: Der alte Mann könnte auch ein Rentner sein, die junge Dame eine Studentin, die alte Person eine Politikerin oder ein Geistlicher. Das bringt nicht nur mehr Abwechslung, sondern lässt auch gleich ein Bild im Kopf entstehen. Es schränkt uns aber im Verlauf des Gedichts inhaltlich ein, denn im Gegensatz zum Ort sollte die genaue Bezeichnung der Person einen Zweck haben.

Ein Malergeselle, der in den Weltraum fliegt oder den Mount Everest besteigt, hat nur dann eine Bedeutung, wenn er dort irgendetwas anstreicht oder zumindest einen Pinsel oder einen Eimer Farbe dabei hat oder etwas anderes Malertypisches macht. Wenn er im Gedicht genauso gut durch einen Steuerberater oder eine Zahntechnikerin ersetzen werden kann, ohne, dass sich die Geschichte ändert, dann würde ich eine allgemeinere Bezeichnung wie „Mann“ wählen. Wenn sich der Limerick im Verlauf in eine bestimmte Richtung entwickelt, kannst du den Mann später noch durch eine andere Bezeichnung ersetzen. Manchmal ergibt sich diese Richtung nämlich erst durch die Reime.

Fangen wir also so simpel wie möglich an:

Es war mal ein Mädchen aus [Ortsname]

oder

Es war mal ein Mann aus [Ortsname]

Weitere Möglichkeiten eines allgemein gehaltenen Einstiegs wären: eine Dame, ein Herr, eine Frau, ein Junge etc. Wichtig ist dabei allerdings, das Metrum einzuhalten und das hängt auch vom verwendeten Ortsnamen ab.

Man erkennt bei den Beispielen die unterschiedliche Silbenanzahl, das Wort „Mädchen“ hat eine Silbe mehr als das Wort „Mann“. Der Ort muss mit einer Betonung anfangen, während nach dem Mann eine unbetonte Silbe folgten muss.

Beispiele

Es war mal ein Mädchen aus Bonn
Es war mal ein Mädchen aus Hessen
Es war mal ein Mädchen aus Kanada

Alle drei Beispiele sind möglich, auch wenn sie unterschiedlich lang sind. Wichtig ist, dass die Zeile genau drei betonte Silben hat und das Metrum stimmt. Am Anfang und Ende der Zeile können maximal zwei unbetonte Silben stehen. Nutze hierfür meine Limerick-Tabelle, wenn du dir unsicher bist.

Kommen wir zum bislang etwas gesichtslosen Mann, der kann aufgrund der Silbenzahl weder aus Bonn, Hessen noch Kanada stammen (wenn es ein „Junge“, ein „Rentner“ oder ein „Vater“ wäre, dann schon), stattdessen funktionieren folgende Orte:

Es war mal ein Mann aus Heilbronn
Es war mal ein Mann aus Saarbrücken

Es war mal ein Mann aus Aschaffenburg

All das ist möglich. Denk daran, dass du zwei Wörter brauchst, die sich auf deinen Ortsnamen reimen, eins für die zweite und ein weiteres für die fünfte Zeile. Wähle den Ortsnamen erst mal so, dass es viele Reime darauf gibt. Auf „Hagen“ reimen sich z.B. sehr viele Verben (klagen, tragen, fragen, sagen usw.), aber auch Substantive wie Magen, Wagen, Sagen, Kragen usw. Aus dieser ansonsten unscheinbaren Stadt lassen sich somit etliche Limericks zaubern, nimm das, Hamburg!

Unser Hagen-Limerick könnte so beginnen (wir haben das Limerick-Metronom dabei schon im Ohr):

Es war mal ein Mädchen aus Hagen,
das fuhr einen protzigen Wagen.

Hier stellt sich die Frage, ob das Mädchen schon Autofahren darf, denn sonst würde man wohl eher von einer Frau sprechen. Vielleicht hat das Mädchen das Auto seiner Eltern entwendet. Wenn ihr junges Alter im Limerick nicht weiter thematisiert wird, könnten wir die Zeile umschreiben:

Es war eine Dame aus Hagen,
die fuhr einen protzigen Wagen.

Du siehst, das Bild ändert sich komplett, denn von einer „Dame“ erwartet man eher ein luxuriöses Gefährt als von einem Mädchen. Ich sehe eine aufgetakelte Millionärin im Pelzmantel vor mir, die in einen Rolls Royce steigt. Aber hätte die nicht einen Chauffeur? Vielleicht siehst du ja auch eine Businessfrau, die in einen BMW steigt. Und schon wird das Bild schwächer, denn das ist kaum etwas Besonderes im Stadtbild.

Manchmal sind gerade widersprüchliche Dinge das Salz in der Limerick-Suppe:

Es war eine Putzfrau aus Hagen,
die fuhr einen protzigen Wagen.

Übung

Schreibe Zweizeiler dieser Art mit beliebigen Orten und versuche, jeweils einen schönen Reim zu finden. Es können auch Ländernamen, Regionen usw. verwendet werden. Die Auswahl ist grenzenlos. Achte auf die richtigen Betonungen der Ortsnamen und benutze im Zweifel die Limerick-Tabelle! Diese Zweizeiler kannst du dann später als Grundlage für weitere Limericks verwenden. Auf der Website von Heinz Hermann Michels findest du unten einige Links zu Listen mit Orten.

Probiere ein bisschen herum und schau dann, wohin die Limerick-Reise geht. Ein Limerick-Anfang ist gut, wenn schon gleich in den ersten beiden Zeilen eine Geschichte beginnt und man ein klares Bild vor sich sieht. Dieses Bild darf ruhig albern und absurd sein. Ein guter Limerick macht keine Gefangenen (auch dieses Bild finde ich reichlich albern, aber es macht die abstrakte Aussage vorher lebendig)!

Die Schlusszeile

Wenn die ersten zwei Zeilen stehen, empfehle ich, erst einmal mit Zeile 5 weiterzumachen. Warum? Nun, die ersten zwei Zeilen können ein Knaller sein, aber was tun wir, wenn wir für Zeile 5 keinen guten Reim mehr finden oder keinen, der auch nur ansatzweise in die Geschichte passt? Dann haben wir uns womöglich umsonst mit Zeile 3 und 4 abgemüht, um dann festzustellen, dass wir noch mal ganz von vorne anfangen müssen. Selbstverständlich kannst du aber auch die Zeilen der Reihe nach abarbeiten. Ich würde mir aber zumindest schon mal ein paar Reime für die letzte Zeile überlegen, um zu schauen, wohin die Reise gehen könnte.

Reime auf „Hagen“ gibt es noch mehr als Porschefahrer in der FDP (wobei ich mir da jetzt nicht hundertprozentig sicher bin), da laufen wir nicht Gefahr, auf einer reimfreien Insel zu stranden. Aber bei anderen Orten kann es auch schon mal eng werden. Oder fallen dir spontan zwei Reime auf Räckelwitz ein?

Wenn du einen Reim für die fünfte Zeile hast, der noch nicht so recht zum Anfang passen will, hast du noch zwei Zeilen, um die Geschichte dort hinzuführen. Wenn du mehrere Ideen für die fünfte Zeile hast, umso besser. Dann kannst du schauen, welche am besten funktioniert. Schreibe dir alle Ideen auf, auch wenn sie dich erst mal noch nicht überzeugen.

Es ist generell gut, den inneren Zensor abzustellen und einfach zu schreiben, was dir so einfällt. Der innere Zensor bekommt seinen freien Tag oder wir schicken ihn mit dem inneren Schweinehund Gassi, damit uns die beiden Nervensägen in Ruhe lassen, bis wir an den Feinheiten feilen.

Es war eine Putzfrau aus Hagen,
die fuhr einen protzigen Wagen.


(1) Sie haben sich wieder vertragen.
(2) Dann ging es ihr an den Kragen.
(3) Sie wollte ihn dafür verklagen.

Bei Nr. 2 stimmt das Metrum noch nicht, aber das ist erst mal egal, das können wir später noch zurechtbiegen, wenn der innere Zensor wieder an seinem Arbeitsplatz ist. Wir müssen erst mal sehen, welche Version es überhaupt ins Finale schafft.

Nr. 1 finde ich schwierig, denn in zwei kurzen Zeilen eine zweite Person nebst Konflikt und sich anbahnender Lösung einzubauen, ist kaum möglich.

Warum könnte es ihr bei Nr. 2 an den Kragen gehen? Vielleicht hat sie den Wagen gestohlen oder sie hat ihn sich geliehen und beschädigt. Alles noch nicht so wirklich originell. Ein Limerick ist meist dann gut, wenn es so richtig absurd wird.

Schauen wir uns Nr. 3 an. Wen wollte sie wohl verklagen? Vielleicht hat jemand ihren Wagen beschmutzt. Immerhin achtet sie schon von Berufs wegen auf Sauberkeit. Vielleicht hat auch eine Taube aufs Auto „gekackt“ (Fäkalhumor und Kraftausdrücke sind zwar nicht die Hochkultur der Komik, sind aber im Limerick gern gesehene Gäste). Das Personalpronomen „ihn“ kann man ganz einfach in „sie“ abändern. Eine Taube soll verklagt werden, die auf das Luxusauto einer Putzfrau kotet, je absurder, umso besser, probieren wir’s!

Übrigens
„Dafür“ ist ein Wort, das man sowohl auf der ersten als auch auf der zweiten Silbe betonen darf, in diesem Fall betonen wir es auf der ersten, damit das Metrum stimmt.

Der Mittelteil

In Zeile 3 taucht also eine Taube auf und das, was sie tut, muss auch noch benannt werden. Auch hier kann man einfach mal drauflos schreiben und schauen, zu welchem Wort es einen schönen Reim gib. Und auch hier tickt unser Limerick-Metronom im Hinterkopf: Die Zeile „Es kackte eine Taube“ (da, di, da, da, da, di, da) würde also nicht funktionieren, aber unsere Sprache bietet einige Möglichkeiten, einen Satz umzustellen. Die einfachste wäre, auf Umgangssprache auszuweichen und eine Silbe zu verschlucken: „Es kackte ‘ne Taube“. (da, di, da, da, di, da). Eine Alternative wäre, ein einsilbiges Verb zu verwenden: „Es schiss eine Taube“ (ich bitte zartfühlige Menschen ob meiner rüden Wortwahl um Entschuldigung, es ist nicht Rilke, es ist nur ein Limerick!)

Vergiss nicht, dass die Zeilen zwei und drei nur zwei Betonungen haben dürfen! „Es kam eine Taube und kackte“ (da, di, da, da, di, da, da, di, da) wäre also zu lang.

Ich persönlich schreibe mir auch Ideen auf, die noch nicht ins Metrum passen. Oft ergibt sich dann noch eine Lösung. Denk daran, das was du aufschreibst, ist i.d.R. noch nicht das Endergebnis, sondern ein Zwischenschritt!

Mir kommt in diesem Zusammenhang noch das Wort „Kotflügel“ in den Sinn. Vielleicht kann man daraus ein Wortspiel machen. Oder wir heben uns die Idee für einen weiteren Limerick auf, in dem ein Tier einen Konzertflügel beschmutzt.

Tipp
Alles, was dir beim Schreibprozess durchs Großhirn schwirrt, würde ich aufschreiben und sammeln, vieles davon wirst du nie wieder brauchen, aber manches könnte dir noch mal von Nutzen sein und außerdem regt das Sammeln von Ideen den kreativen Prozess an.

Wenn du keine sinnvollen Reime findest, probiere andere Varianten. Man kann auch unterschiedliche Vogelarten ausprobieren. Ich schreibe mir dann oft schon Reimwörter dazu, die mir einfallen:

Es kackte ‘ne Taube – Glaube, Schraube, Laube …
Es kackte ein Spatz – Rabatz, Satz, Schatz, kratz, Katz, Latz …
Es kackte ‘ne Meise – leise, Reise, Schneise, Weise, Gleise

Man merkt, manche Reimwörter sind thematisch zu weit weg, als dass sie sich sinnvoll in die Geschichte einfügen würden, aber manchmal kann auch so ein Wort dem Limerick den richtigen Dreh geben.

Es ist legitim, ein Reimlexikon zu verwenden, aber für mich bringt das Blättern und Suchen oft den kreativen Fluss ins Stocken. Ich nutze so etwas aber hin und wieder, wenn ich gar nicht mehr weiter weiß. Ich würde allerdings von einem Online-Reimlexikon abraten, denn die liefern oft falsche Ergebnisse oder eine endlose Liste mit vielen identischen Reimen. Außerdem stehen die originellsten und überraschendsten Reime oft gar nicht im Reimlexikon, hierzu gehören z.B. die schon erwähnten geteilten Reime und Doppelreime. Brauchbar als Reimlexikon ist die Website wiktionary.org. Hier findet man zu vielen Wörtern jeweils unter „Reime“ einen Link, der eine gute Auswahl an möglichen Reimen anzeigt.

Aber nach was für einem Wort suchen wir eigentlich, abgesehen vom Reim? Welchen Autoteil könnte der Vogel verzieren? Das Dach? Gibt es einen Vogel, der sich auf „Dach“ reimt? Was gibt es noch? Die Windschutzscheibe? Die Motorhaube? Leider passt beides nicht ins Metrum, aber „Scheibe“ und „Haube“ schon und auf welchen Vogel reimt sich „Haube“? Bingo! Das ist natürlich ein Glücksfall.

Es kackte ‘ne Taube
der Frau auf die Haube.

Kann man so machen! Unser erster Entwurf lautet somit wie folgt:

Es war eine Putzfrau aus Hagen,
die fuhr einen protzigen Wagen.
Es kackte ‘ne Taube
der Frau auf die Haube.
Sie wollte sie dafür verklagen.

So richtig rund ist der Limerick noch nicht. Zeit fürs Finetuning!

Praxisteil 2 – Den Limerick verbessern »

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen